Wa(h)re Kreativität - Zwischen Selbstverwirklichung und Vermarktungsdruck
Seit fast eineinhalb Jahren gibt es meinen “Poetischen Moment” – Lyrik aus eigener und fremden Federn, von mir für euch gesprochen in besonderen Momenten an besonderen Orten. Das macht Freude – mir und euch, wie die Reaktionen zeigen. Seit langer Zeit beschäftigt mich die Frage, welchen Stellenwert die literarische Kreativität in meinem Leben hat. Gerne möchte ich euch in einem Essay an meiner Poetik, das heißt an meinen Gedanken zur Kreativität, teilhaben lassen. – Los geht’s mit Folge 1:
Folge 1: Mehr denn je zuvor ist unsere Zeit von einem starken Bedürfnis nach Anerkennung und Beifall geprägt: Nicht nur in den sogenannte sozialen Medien, auch bei Business-Meetings regnet es Herzchen, Smileys, Klatsch- und Kusshände. Die Likes bei Facebook, Twitter und TikTok sind der erhobene oder gesenkte Daumen des Zirkus-Publikums, wie man ihn aus antiken Arenen kennt, die über den sozialen Tod bzw. das künstlerische Überleben des modernen Kreativ-Gladiators entscheiden. Für viele von ihnen scheint es unabdingbar, sich der Kritik, also öffentlichen Tribunalen von Husum bis Klagenfurt zu stellen, um ihre Werke als erfolgreich und wertvoll zu erachten zu können: Ich poste, also bin ich!
Wie sehr und in welcher Weise hängt Kreativität und schöpferische Freude von der Meinung anderer im Medien- und Literaturbetrieb ab? Klar ist: Abgesehen von der intellektuellen Befriedigung ist die ökonomische Abhängigkeit für diejenigen existentiell, die sich der Schriftstellerei verschrieben haben.
Erblüht schriftstellerische Kreativität nicht auch sehr schön im Verborgenen, ohne um den Beifall der Masse zu buhlen? Vielleicht in Montaignes Bibliotheksturm, um nicht gleich vom viel geschmähten ‘Elfenbeinturm’ zu sprechen. - Ketzerische These: Kreativität mach macht am meisten Spaß, solange man nicht gezwungen ist, sich als “literarischer Lohnsklave” auf dem Markt der Eitelkeiten zu verdingen, der mehr und mehr von künstlicher Intelligenz dominiert wird. Für mich persönlich ist der Akt des kreativen Schreibens an sich das Eigentliche und Wesentliche, also Authentische, nicht so sehr die Produktion und Selbst-(Vermarktung).
Man sollte als Schriftsteller und schon gar nicht als Dichter nicht immer gleich dem Impuls unterliegen, seine Kreativität, also gewissermaßen seine “Haut”, zu Markte zu tragen. Sofern man es sich leisten will und kann.
Dieser Essay stellt Fragen und sucht Antworten in der antiken Lebenskunst-Philosophie des Westens, z.B. bei den Stoikern und bei Epikur, den fernöstlichen Weisheitslehren von Laotse und dem Daoismus, der Psychologie, Soziologie sowie der Kunst- und Warenästhetik. Er ist gespeist von persönlichen Erfahrungen als Buch-Autor, Journalist und Contentmanager. Themen sind die heilenden bzw. therapeutischen Aspekte von Literatur, dem Verhältnis von Schreiben und Meditation und schließlich der Transzendenz im Gedicht als Gebet.
Doch was ist Kreativität überhaupt? – Fortsetzung folgt.